Eine aufmerksame Beobachterin

Ich habe jetzt Pause

                                                            Emily für die Seele
BAD SOODEN-ALLENDORF. Es ist zwei Uhr morgens, als Melanie hochschreckt, aufsteht und ihren Vater aus dem Schlaf rüttelt. „Ein Hund wieder haben wollen“, sagt sie. Ein Wunsch, klar und deutlich formuliert. Für Rolf Greiser ein kleines Wunder. Denn seine 24-jährige Tochter Melanie lebt in ihrer eigenen Welt. Einer abgeschotteten Welt. Voller Mauern, die sie hindern, ihre Ängste und Gefühle mitzuteilen. Melanie ist Autistin.
„Ein Hund wieder haben wollen“ - da war er, der außergewöhnliche Satz, für Melanies Eltern ein neuer Hoffnungsschimmer. Schon einmal hat Melanie sich einem Tier geöffnet. Bei einer Delphintherapie in Florida freundete sie sich mit Niki, einem Delphinmädchen, an. Doch jetzt ist Emily da. Oder Emmy, oder Amy - da kann sich Melanie nicht so ganz entscheiden. Fest steht aber, die hübsche Retriever-Hündin hat Melanies Leben auf den Kopf gestellt.
Durch den Hund, ein ausgebildeter Behindertenbegleit- und Therapiehund, hat sich viel verändert, sagen die Eltern. Melanie wirkt offen, fröhlich, wach. Und sie stellt Fragen. „Wie heißt Du? Wie alt bist Du? Wie geht es Dir?“, will sie von ihren Besuchern wissen. Sie schaut ihnen dabei sogar in die Augen. Und wenn sie es einmal nicht schafft, den Blick festzuhalten, ermahnt sie sich selbst: „Schau nach vorn, Melanie!“
Sie ermahnt auch Emily. „Nein, lass das“, sagt sie selbstbewusst, wenn die Hündin zu weit von ihrer Seite weicht. „Du kriegst auch’n Leckerli.“
Das holt Melanie aus ihrer Gürteltasche, die sie immer dabei hat, und Emily setzt sich erwartungsvoll hin.
So hat sie es in ihrer halbjährigen Ausbildung bei Petra Behrens aus Rostock gelernt. „Gehorsam läuft über Futter.“
Sie hat Emily persönlich zu den Greisers nach Bad Sooden-Allendorf gebracht und sie begleitet Melanie auch bei ihren ersten Schritten als Hundeführerin, übt mit ihr die wichtigsten Kommandos und die alltäglichen Wege im Straßenverkehr ein. Denn Melanie Greiser soll lernen, in Begleitung des Hundes kleinere Besorgungen selbstständig zu erledigen.
Briefe einwerfen, in den Supermarkt gehen und den Weg zurück ins Geschäft der Greisers in der Kirchstraße finden - das steht heute auf dem Lehrplan. Petra Behrens hat Emily beigebracht, sich im Straßenverkehr weder durch interessante Gerüche, laute Geräusche oder andere Hunde ablenken zu lassen. „Melanie ist das Wichtigste. Emily muss unterscheiden, was Arbeit und was Spiel ist.“
Doch Emily ist mehr als eine Begleiterin. Für Melanie ist sie eine Freundin, ein Hund für die Seele. Seit sich die junge Frau nachts in ihr weiches Fell kuschelt, kann sie wieder alleine schlafen, sind die Phasen, in denen sie ein Fenster zur Realität öffnet, häufiger und länger geworden. Dann sieht und benennt sie sogar Dinge, die andere - Gesunde - nicht sehen. „Kopfschmerzen“, sagt sie und streicht einer Fremden über die Schläfe. Das jagt selbst ihren Eltern noch einen Schauer über den Rücken.
Deshalb machen sie weiter, wollen sich mit dem Schicksal ihrer Tochter nicht abfinden. Auch zu den Delphinen nach Florida soll es bald wieder gehen. Und Hündin Emily darf natürlich auch mit.

Und? wo bleiben  die Geschenke?

Beim Training mit Melanie + Vater