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Datum: 05.02.2000 Ressort: LOK Seite: 13


Auch umstrittene Wege gehen

Zum Leserbrief über die „Delfintherapie

Wir sind entsetzt über die uns unverständliche Sichtweise der Verfasserin des Leserbriefes, die dann auch noch auf ihre Mitgliedschaft im Verein „Hilfe für das autistische Kind” hinweist. Gerade diese akademische Dame sollte die Wünsche von betroffenen Familien, das heißt Eltern und Kindern, kennen. Wir meinen: Es gibt sehr viele verschiedene Krankheitsbilder und somit auch ebenso viele mögliche mehr oder weniger umstrittene Therapieformen zur Linderung oder gar Beseitigung dieser Krankheitsbilder. Selbst bei der Diagnose „Autismus” ist die Symptomatik bei jedem sogenannten Autisten unterschiedlich. Somit erklärt es sich von selbst, dass im Grunde jede aussichtsreiche Therapieform individuell angewandt werden muss, um festzustellen, ob und wie sie wirkt. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass hier keine Verallgemeinerung zulässig ist. Allein die Chance des Profitierens aus irgendeiner anwendbaren Therapieform verbietet den Schluss, das Werben hierfür als rücksichtslose Bettelei zu bezeichnen. Rücksichtslos ist nämlich genau die Sichtweise, welche die Verfasserin des Leserbriefes an den Tag legt. Wir als Eltern eines Kindes mit autistischen Zügen und diversen anderen Leiden würden unserem Kind eine als aussichtsreich in Frage kommende Therapieform nicht vorenthalten und alles dafür tun, um sie bald zur Anwendung zu bringen. Die Aussicht auf Heilung ist immer höher zu bewerten, als der auch wahrscheinliche Misserfolg. Zu glauben, Autismus wird nicht heilbar, lässt die Resignation der Verfasserin des Leserbriefes spüren. Wir werden, idealistisch geprägt, nicht resignieren und auch umstrittene Wege gehen, um unserem Kind zu helfen, auch wenn dies als rücksichtslos angesehen wird.

Peter und Cornelia Simon


 
 
 

Datum: 20.01.2000 Ressort: LOK Seite: 9


Glaube an Heilung ist nicht verwerflich

Reaktion auf den Leserbrief zur Delfintherapie „Wirkung rechtfertigt hohen Preis nicht”. Obwohl der Leserbrief von Frau Stork die Ebene der sachbezogenen Diskussion verlässt, (Zitat: Rücksichtslose Bettelei, Familie mit übersteigerten Ansprüchen, Sternschnuppen-Effekt) möchte ich darauf antworten, um für die Leser einige Dinge geradezurücken. Ich denke, dass man Therapien nicht von vornherein ablehnen sollte, denn bei keiner Therapie kann eine Voraussage über Wirkungen im voraus getroffen werden. Die Hörtherapie, die wir mit unserem Kind noch in Paris durchführten, weil es in Deutschland damals keine entsprechenden Angebote gab, ist inzwischen auf der offiziellen Homepage aufgeführt und man hat die Wahl zwischen zehn Instituten. Kosten pro Sitzung täglich an 15 Tagen etwa 4000 Mark (ohne Fahrt- und Unterbringungskosten). Eine tiefenpsychologisch fundierte und länger praktizierte Verhaltenstherapie, kostet bei privater Abrechnung für 45 Minuten 375 Mark oder mehr. Bei etwa drei Jahren Therapiedauer entstehen 58 500 Mark (ohne Nebenkosten). Auch bei dieser Therapie sind bei einigen Kindern die Auswirkungen im Alltag zunächst nicht spürbar. Gelegentlich zeigt diese Behandlung - wie auch wir wissen - keine Erfolge. Bei der Delfintherapie sind täglich zwei bis drei ausgebildete Therapeuten anwesend, sie dauert immer länger als eine Stunde, die Eltern erhalten Hilfen für den Alltag daheim. Ich finde es verwegen zu behaupten, „die Eltern” glauben an eine Heilung und suchen deshalb „Rettung bei Sternschnuppen-Therapien”). Obwohl ich der Ansicht bin, dass es nicht verwerflich ist, an eine Heilung der Krankheit Autismus zu glauben (immerhin werden auf allen medizinischen Gebieten Fortschritte erzielt), so lange Eltern ihr Kind so lieben wie es eben ist, war/ist das keine Motivation für die Hilfe, die wir Melanie bislang angeboten haben. Es sind nicht unsere Erwartungen an unser Kind, sondern Melanies Erwartungen an sich selbst, ihr Unglücklichsein, wenn sie diesen Erwartungen nicht gerecht werden kann, das unseren Einsatz erforderlich macht. Daraus den Schluss zu ziehen, wir setzten uns nicht für die alltägliche Verbesserung der Umwelt unserer Kinder ein, halte ich für unangemessen und ungerechtfertigt. Wir haben Melanie für ein Jahr in einer Einrichtung in Fulda untergebracht, wo sie von sehr liebevollen und kompetenten Menschen betreut wurde. Als Melanies Protest sich in lebensbedrohlicher Weise äußerte (Magersucht), holten wir sie zurück in die Familie. Kosten: 7894,82 Mark monatlich - für ein Jahr ergab das den Betrag von 94 737,84 Mark, von denen wir nur einen geringen Teil zu tragen hatten. Wir betreuen unser Kind seit 21 Jahren in der Familie – eine Hochrechnung der Kosten (die der öffentlichen Hand nicht entstanden sind) fällt nicht schwer. Unseren Spendenaufruf als rücksichtslose Bettelei zu bezeichnen, scheint mir also wenig angebracht, wenn man bedenkt, dass öffentliche Mittel von uns allen erbracht werden. Dass der Erfolg einer Behandlung niemals vorhersehbar ist, dürfte der Verfasserin des Leserbriefs bekannt sein. Auch, dass man nach vielen Jahren des Zusammenlebens mit einem autistischen Menschen eigentlich immer „am Anfang steht”. Aber gerade dieses Zusammenleben betrachten wir als einen besonderen glücklichen Umstand, den wir um nichts in der Welt eintauschen möchten.

Gisela Greiser